Lehrer Gnadenlos (German)


by Lutz, Berlin <Mike_neukoelln@gmx.de>

In meiner Schulzeit gehoerte neben Tischen, Stuehlen, einem Lehrerpult, einer Tafel und Kreide auch der Rohrstock zur Grundausstattung eines Klassenzimmers. Ich war gewiss kein Streber, aber ein guter und braver Schueler. Das wurde von den Lehrern auch anerkannt, und so kam ich selten in den "Genuss" der Pruegelstrafe. Die meisten meiner Mitschueler machten oefter die Bekanntschaft dieses Erziehungsmittels; aber das blieb alles in seinen Grenzen. Dann musste meine Familie jedoch umziehen, sodass ich an eine neue Schule kam. Hier lernte ich den "Lehrer Gnadenlos" kennen. Sein richtiger Name ist mir nicht mehr erinnerlich, und das ist bezeichnend.

Es fing bereits damit an, dass er, nachdem er mich vorgestellt und mir einen Platz zugewiesen hatte, einen Schueler, der in der ersten Reihe sass, durchpruegelte - ohne ersichtlichen Grund. Danach verlief der Unterricht ohne weitere Besonderheiten. In der Pause fragte ich einen meiner neuen Schulkameraden, was denn dieser Schueler aus der ersten Reihe angestellt haette.

"Den Andreas meinst du?", bekam ich zur Antwort, "Der hat gar nichts angestellt. Der Lehrer mag ihn nur nicht. Andreas war in den ersten Tagen, als der Lehrer hier neu war, ziemlich vorlaut. Tja, und seitdem hat er beim Lehrer endgueltig verschissen. Er kann machen was er will, er kriegt jeden Morgen als erstes Pruegel. Mal zehn, mal fuenfzehn oder auch zwanzig Schlaege. Je nachdem, in welcher Laune der Lehrer gerade ist."

Ich erfuhr von ihm auch die "Begruendung" dafuer. Nachdem Andreas die ersten Tage - wie gesagt - vorlaut gewesen war, hatte er eines Tages nach Schulschluss noch in der Klasse bleiben muessen. Am darauffolgenden Tag hatte der Lehrer verkuendet, an Andreas wuerde von nun an jeden Tag zu Schulbeginn ein Exempel vollzogen, das klarmachen solle, was diejenigen erwartet, die sich wie Andreas verhalten wuerden. Seither war kein Schultag vergangen, der nicht mit Andreas' obligatorischen Zuechtigung begonnen hatte. Wie ich feststellte, hatte Andreas auch sonst viel zu leiden.

Zwar wurde Andreas vom Lehrer besonders hart behandelt, aber auch wir anderen Schueler hatten bei ihm nichts zu lachen. So kam dieser Inbegriff eines Pruegelpaedagogen zum Namen "Lehrer Gnadenlos". Meine bisherigen Lehrer waren dagegen die liebenswertesten Menschen. In dieser Schule hoerte ich das Fauchen des Rohrstocks in einem Monat so oft wie vorher in einem Jahr. Kaum eine Stunde verging ohne dieses furchteinfloessende Geraeusch. - Mein erster Tag erwies sich als einer, an dem der Lehrer bester Laune war, und der deshalb nicht charakteristisch war.

So zuegellos seine Zuechtigungen waren, so hatte er doch einige Regeln, die er nie bzw. selten verletzte. Eine dieser Regeln betraf die Strafhoehe fuer's Zuspaetkommen. Fuer jede angebrochene Minute gab es einen Hieb - bei der ersten Verspaetung. Bei der zweiten gab's zwei Hiebe pro Minute usw. usf. Zu Beginn eines jeden Halbjahres begann diese Zaehlung erneut. Eine andere Regel war die, vor der Klasse nur mit Hieben auf die Hose zu strafen; die Zuechtigung auf den Blanken erfolgte nach dem Unterricht. Verkuendete er also einem Schueler, er koenne sich nachher auf eine Strafe gefasst machen, so war fast sicher, der Betreffende wuerde dafuer die Hosen herunter lassen muessen.

Seine Regeln liessen jedoch fast jede Strafe zu, die er verhaengen wollte. Die taegliche "Morgengabe" fuer Andreas war dafuer nur ein Beispiel. So gab es zwar hoechstens dreissig Hiebe am Stueck, aber unter Umstaenden jeweils dreissig pro Stunde oder, nach dem Unterricht, in wesentlich kuerzeren Abstaenden. Infolgedessen war die Anzahl der Hiebe praktisch unbeschraenkt.

Mit der Zeit lernte ich meine Klassenkameraden kennen. Mein Banknachbar war Egon, ein ruhiger Zeitgenosse und ein guter Schueler wie ich. Ausser uns gab es nur einen guten Schueler: Marc. Er war fuer sei Alter ein bisschen klein und trug oft einen Matrosenanzug. Alle anderen waren mittelmaessig oder schlecht. Der schon erwaehnte Andreas war mittel, aber das half ihm nichts. Thomas war dick und ziemlich einfaeltig. Michael gehoerte zu den faulen und frechen Schuelern. Dass der Lehrer nicht ihn zum bevorzugten Opfer des Rohrstocks ausgewaehlt hatte, sondern Andreas, wunderte mich anfangs. Ich merkte aber bald, dass er eine gewisse Bauernschlaeue besass, die das wohl verhindert hatte. Wenzel war ein munterer Bursche und hatte haeufig ein Schmunzeln im Gesicht. Das wurde ihm hin und wieder zum Verhaengnis, denn der Lehrer fuehlte sich dadurch herausgefordert. Olaf roch meist streng und war mit einem derben Gemuet ausgestattet. Als Letzter faellt mir gegenwaertig nur noch Sebastian ein, der sehr gut ausah: Strohblond, blaue Augen, mit einer niedlichen Stupsnase und einem klassisch geschwungenen Mund.

Wir alle verfluchten den "Gnadenlos", hielten zusammen und erzaehlten uns die Einzelheiten von den Bestrafungen, die wir erhielten, wenn wir allein mit dem Lehrer war. Andreas tat das auch, doch nur in dem Fall hoerte man ihm zu, ansonsten blieb er von der Kameradschaft ausgeschlossen. Keiner hatte grosses Mitleid mit ihm, denn er war ein Angeber und spielte sich gerne auf. Das hatte ihn auch veranlasst, dem neuen Lehrer keinen Respekt zu zollen. Er hatte so den anderen imponieren wollen.

Jeden Tag sobald ich die Klasse betrat, fiel mein Blick auf den Halter fuer die Rohrstoecke. Der enthielt stets fuenf dieser Stoecke, gleich in Reichweite des Strafenden. Daneben hingen an zwei Naegeln eine Gerte und ein Schlagleder. Das war ein ca. 50 cm langer, ca. 15 cm breiter Streifen aus dickem Leder mit einem Griff daran. Die Jungen, die das Schlagleder zu spueren bekamen und entsprechende Vergleichsmoeglichkeiten hatten, versicherten, dass der vaeterliche Guertel sie demgegenueber geradezu nur "streicheln" wuerde. Doch die Gerte war das Schlimmste. Sie schmerzte fuerchterlich und hinterliess Striemen, die tagelang schmerzten und noch laenger zu sehen waren. Ich konnte mich mehrmals davon ueberzeugen, denn bei den Berichten ueber die Bestrafungen unter vier Augen, fielen hin und wieder zum Beleg auch die Hosen. Ein jeder gestriemte Hintern, den wir so sahen, wurde entsprechend kommentiert, mitunter zur weiteren Untersuchung auch befuehlt.

Bei einigen Schuelern setzte der Lehrer jeweils eine bestimmte Art der Zuechtigung ein und wich selten davon ab. Zum Beispiel wurde Marc gezwungen, neben seinen Stuhl zu treten und sich vorzubeugen. Dann wurde ihm die Hose des Matrosenanzuges straffgezogen. Da Marc vor mir sass, hatte ich den kleinen Po dicht vor Augen. Die schmalen Baeckchen seiner Kehrseite waren durch den duennen, dunkelblauen Stoff kaum geschuetzt. Seine Schlaege erhielt er mit dem duennsten Stock, doch holte der Lehrer damit weit aus. Die hellen, hohen "Aua!"- Schreie, die Marc entfuhren, verrieten die Wirkung. Wenzel dagegen spuerte nie die Hand des Lehrers am Hosenbund, seine breiten Hosentraeger spannten den Hosenboden genug. Er musste stets nach vorne kommen und sich buecken, die Haende auf die Knie. Oft blaffte der Lehrer ihn an, seine Erziehungsflaeche ja richtig rauszustrecken. Auch Olaf wurde vorne bestraft, er musste sich zu uns umdrehen, sich buecken und wurde angehalten, den Kopf moeglichst hoch zu strecken. Jedenfalls erhielt er die Pruegel so, dass wir deren Effekt direkt im Gesicht sehen konnten; obwohl dort selten viel zu sehen war.

Fuer Sebastian war es immer eine besondere Demuetigung. Bevor der Arm des Lehrers den Rohrstock schwang, musste Sebastian den Satz "Ich bitte darum, die gerechte Strafe zu vollziehen!" sagen. Hatte er mich zur Bestrafung auserkoren, zog er, nachdem ich aufgestanden war, den Stuhl hinter mir weg, ich musste mich vorbeugen und mit den Haenden auf dem Tisch abstuetzen. Bei der dann folgenden Zuechtigung kam verhaeltnismaessig haeufig das Schlagleder zum Einsatz. Warum, weiss ich nicht, aber ich vermute, deshalb, weil ich trotz meines schlanken Koerpers einen kraeftigen Hintern hatte. Auch das breite Hinterteil von Thomas hatte oft unter dem Schlagleder zu leiden.

Egon genoss eine Sonderbehandlung. Er war, wie erwaehnt, ein guter Schueler, genauer: der Beste. Nur wenn die Klasse eine Kollektivstrafe erhielt, bekam auch er Hiebe vor der versammelten Mannschaft. Nach der ungewoehnlichen Milde ihm gegenueber befragt, erzaehlte er folgende Geschichte: Er war vom Lehrer von Anfang an vergleichsweise maessig gestraft worden. Etwa nach zwei Monaten, alle waren gerade im Aufbruch begriffen gewesen, hatte der Lehrer ihn aufgefordert, nach dem Unterreicht noch dazubleiben. Egon hatte Boeses gefuerchtet und krampfhaft ueberlegt, was er angestellt haben mochte. Was gefolgt war, hatte ihn sehr ueberrascht. Er hatte sich setzen duerfen und der Lehrer hatte das Wort an ihn gerichtet.

"Wie ich feststellen konnte, bist du ein sehr guter Schueler. Begabt, fleissig, ruhig und folgsam. Ich habe kaum Grund, dich zu bestrafen und dich damit in die peinliche Lage zu bringen, vor den Augen deiner Mitschueler gezuechtigt zu werden. Doch auch ein Schueler wie du muss sich klar darueber sein, dass er der Zucht bedarf, und daran regelmaessig erinnert werden. Daher erhaelst du ab jetzt einmal die Woche eine Zuechtigung, die dich daran erinnert, und dich anhalten soll, dein gutes Betragen weiter beizubehalten. Dafuer werde ich dir Bestrafungen waehrend des Unterrichts ersparen, solange mich nicht dazu zwingst."

Seitdem musste Egon einmal die Woche nach dem Unterricht dableiben. Der Lehrer fragte ihn dann, was er meine, verdient zu haben: Zehn, fuenfzehn oder zwanzig Hiebe. Egon antwortete mit der immer gleichen Zahl: Zwanzig. Und zwar deshalb, weil er dachte, sich dadurch an die Schlaege am besten gewoehnen zu koennen. Ausserdem wuerde er so nie Gefahr laufen, eine Steigerung zu erfahren. Der Lehrer nahm es hin.

Thomas und Michael schliesslich waren nach Andreas diejenigen, die am meisten zu leiden hatten. Thomas weil er dumm war und Michael weil er faul und frech war. Zusammen mit Andreas konnten sie nie sicher sein, wie und welche Strafe sie erwartete. Wieder und wieder dachte sich der Lehrer fuer sie etwas neues aus.

Erschien mir manchmal das Fauchen und Klatschen waehrend der Zuechtigungen wie Melodie und Takt eines ewig gleichen Liedes, sind mir dennoch einige Ereignisse bis heute besonders gut in Erinnerung.

So wie jener Vorfall, in dessen Mittelpunkt Wenzel stand. Schuld daran war seine hervorstechendste Charaktereigenschaft, seine Froehlichkeit, die jeden ansteckte - ausser den Lehrer. Eines Tages war Wenzel in seinen Spaessen schier nicht aufzuhalten. Er strahlte wie ein Honigkuchenpferd und zog Grimassen, wenn der Lehrer wegschaute. Einige Schueler konnten nicht an sich halten und prusteten vergnuegt in sich hinein. Dadurch entstand eine Unruhe, die dem Lehrer natuerlich nicht entging. Doch immer, wenn er sich umdrehte, verstummten die Laute. Bis er sich so unerwartet umdrehte, dass er die Ursache fuer die Unruhe fuer einen Moment sehen konnte. Er rief Wenzel nach vorne und meinte, er werde ihm die Faxen schon austreiben. Gebueckt erhielt der Spassvogel seine Hiebe. Trotzdem leuchteten Wenzels Augen als er zurueck zu seinem Platz ging. Es dauerte nicht lange, und er setzte seine Darbietungen fort. Wir alle bemuehten uns, uns zusammenzunehmen. Aber er zog alle Register seines Koennens. Nach minutenlanger Zurueckhaltung genuegte ein kleines Kichern und die ganze Klasse war ein einziges Gelaechter. Fuer den Lehrer war es keine Frage, wer dafuer verantwortlich war. Und diesmal kam Wenzel nicht so billig davon. Volle Dreissig mit dem Schlagleder waren die "Gage" fuer seine Vorstellung. Zudem durfte er nicht an seinen Platz zurueckkehren, sondern wurde in die Ecke gestellt.

"Die Haende gefaltet hinter den Kopf! Und dass du ja keinen Mucks machst oder dich bewegst!", machte ihm der Lehrer zur Auflage.

Den Rest des Schultages liess er Wenzel in der anstrengenden Haltung stehen. Der hatte den Ernst der Lage erkannt und blieb zunaechst ruhig. Doch mehr und mehr konnte er die Arme nicht stillhalten; daran aenderten auch die Ermahnungen des Lehrers nichts. šber drei Stunden in einer solchen Position unbeweglich zu verharren, ist einfach nicht moeglich. Endlich war die Schule aus und alle durften gehen - bis auf Wenzel.

Was dann folgte, schilderte mir Wenzel hinterher am Nachmittag. Der Lehrer rief ihn zu sich und verpasste ihm eine Zuechtigung mit dem Rohrstock auf den nackten Hintern. Danach musste er Liegestuetzen machen, "zur Kraeftigung der Arme", wie der Lehrer haemisch erklaerte. Waehrend der Lehrer bedrohlich ueber ihm stand, verausgabte sich Wenzel vollkommen. Allerdings reichte das dem Lehrer nicht. Wenzel bekam "fuer mangelnden Einsatz" erneut den Blanken mit den Rohrstock gestriemt. Dabei fasste er sich vor Schmerz einmal unwillkuerlich an die gepeinigte Flaeche. Hierfuer bekam er zusaetzlich zu den Stockhieben zehn mit dem Schlagleder.

"Zehn, das klingt nicht nach viel, aber der Schuft schlug auf mich ein, dass ich dachte, die Haut platzt mir.", erlaeuterte mir Wenzel, "Obendrein liess er sich zwischen den einzelnen Hieben unendlich viel Zeit. Nach jedem Hieb brannte mir der Arsch wie Feuer und wenn es sich etwas gelegt hatte, setzte der naechste. Ausserdem tun mir die Arme schweinisch weh, Mann, ich sag dir, das wuensch' ich keinem."

"Glaub' ich dir.", erwiderte ich, "Aber ich habe bisher noch nie so viele Klassenkameraden lachen hoeren wie heute."

"Stimmt!", pflichtete er mir bei und hatte sein einnehmendes Laecheln wiedererlangt.

Mit Wenzel ist auch eine Erinnerung verbunden, in deren Mittelpunkt der zarte Marc steht. Es fing damit an, dass er an jenem Tag sechs Minuten zu spaet kam. Da es das vierte Mal war, erhielt er vierundzwanzig Rohrstockhiebe. Als dann die Hausaufgaben kontrolliert wurden, fand der Lehrer Marcs schlecht. Fuenfundzwanzig weitere Hiebe waren die Folge. Bereits da stiess Marc laute Schreie aus. Als er sich dann waehrend der Mathematikstunde ein paar Mal vor Aufregung verrechnete, griff der Lehrer zur Gerte. Sofort jammerte Marc los, der Lehrer moege bitte nicht die Gerte benutzen. Da war er aber an der falschen Adresse. Ungeruehrt packte der Lehrer Marcs kurze Hose und zog sie gehoerig stramm. Markerschuetternd gellten die Schreie durch den Raum. Nur anfaenglich unterbrochen von Marcs Bitten, die Strafe nicht allzu gross zu bemessen. Aber bald gab er es auf, wohl weil dieser schwaechliche Knabe nicht mehr die Kraft dazu fand. Wieder und wieder landete die Gerte auf den kleinen Baeckchen, die sich deutlich unter der Hose abzeichneten. Ploetzlich wurde der Stoff dunkler und ein bekannter Geruch stieg mir in die Nase: Marc hatte sich in die Hosen gemacht. Natuerlich bemerkte das auch der Lehrer. Er geriet ausser sich, schimpfte Marc einen Weichling und drosch aus Leibeskraeften weiter auf ihn ein. Ich flehte derweil innerlich, der Lehrer moege von Marc endlich ablassen und uns die Fortsetzung des Geschreis ersparen. Spaet wurde mein Flehen erhoert. Marc weinte bitterlich. Unverzueglich fasste der Lehrer Marc am Ohr und zog das Haeufchen Elend zur Tuer.

"Du gehst jetzt in die Toilette!" bruellte der Lehrer in das Ohr, das zur Betonung der Worte heftig gezogen wurde, "Dort waescht du deine Hosen aus. Im Anschluss daran kommst du wieder und legst dich ueber den Tisch. Sollten deine Hosen bei Schulschluss nicht getrocknet sein, wirst du dafuer geradestehen."

Die ganze Zeit lag der kleine Junge dann schlaff ueber den Tisch. Als es soweit war, sah ich, dass seine Hosen nicht trocken waren.

Wenzel und ich warteten vor der Schule auf Marc, weil wir ihn nicht allein lassen wollten. Mit voellig verheulten Augen kam er aus dem Gebaeude. Nie zuvor hatte ich ein so grosses Beduerfnis, jemanden zu troesten. Waehrend ich dem Kleinen ein Taschentuch gab, versuchte Wenzel ihn aufzumuntern. Er hiess ihn willkommen im "Club der dunkelroten Aersche". Von diesem "Club" hatte ich bisher nichts gehoert. Wie ich spaeter erfuhr, war das auch nicht moeglich; Wenzel hatte den "Club" in diesem Augenblick erfunden. Nachdem Marc sich ausgeschneuzt hatte, nahmen wir ihn in die Mitte und gingen zu einem unserer Verstecke. Dort angekommen, sagte Wenzel, Marc muesse nun aber den Beweis fuer die "Clubmitgliedschaft" antreten. Ich dachte, Marc wuerde sich dafuer zu sehr schaemen, vielleicht sogar wieder in Traenen ausbrechen, aber er blieb gefasst. Zoegerlich kam er Wenzels Anliegen nach und zeigte uns die Bescherung. Er hatte die "Clubmitgliedschaft" bestimmt erworben. Wir sahen eine einzige dunkelrote Flaeche mit noch dunkleren Streifen und ueberdies blauroten Stellen. Die Haut war ganz und gar nicht mehr glatt und zart. Der Lehrer hatte offenbar noch ganze Arbeit geleistet. Wenzel bestaetigte die "Mitgliedschaft" und wir beide behaupteten, bis zu diesem Zeitpunkt keinen dermassen geschundenen Hintern gesehen zu haben; in meinem Fall stimmte das tatsaechlich. Wenzel fuegte noch hinzu, Marc koenne darauf stolz sein. Mir schien das unpassend, jedoch hellte sich danach Marcs Gesicht auf. Nur fuer den kurzen Moment, in dem er die Hosen wieder anzog, kehrte die Erinnerung an die Qualen zurueck. Wenzel schaffte es, diese schnell mit seinem Humor zu vertreiben. Er plapperte munter drauf los, ein Scherz jagte den anderen, und wenn ihm ein besonders guter gelungen war, steckte er die Daumen hinter die Hosentraeger, zog sie nach vorne und liess sie zurueckfedern; eine fuer den froehlichen Kerl typische Geste. Marc vergass darueber fast voellig seine Schmerzen. Und nicht nur er war Wenzel dafuer dankbar. Die Sache mit dem "Club" machte unter den anderen Jungen rasch die Runde. Niemand erzaehlte Marc, dass es diesen "Club" vorher gar nicht gab, und weil er gewissermassen der erste Angehoerige des "Clubs" war, behandelten ihn alle wie das Ehrenmitglied. Wir kuemmerten uns von da an verstaerkt um ihn und schuetzten ihn da, wo es ging. Fuer ihn hielten Wenzel und ich zwei-, dreimal selbst unseren Kopf, besser gesagt unseren Hintern hin.

Vor einer Sache konnten wir ihn allerdings nicht schuetzen, naemlich das, was die Schueler "Abschiedspruegel" nannten. Der Lehrer nannte dieses schmerzhafte Ritual, das zusammen mit der Jahres- bzw. Halbjahreszeugnisvergabe am letzten Schultag vor den Ferien stattfand, "Bilanz". Nachdem der Lehrer die Klasse betrat, durften wir uns nicht hinsetzen, sondern mussten uns sofort hinten in einer Reihe, mit dem Gesicht zur Wand, hinstellen. Den Kopf umzudrehen war bei zusaetzlicher Strafe streng verboten. Solchermassen konnten wir die Schlaege und die Reaktionen des Geschlagenen nur hoeren. Mir ging es dabei so, dass sich meine Angst durch das Stoehnen oder Schreien nur noch mehr steigerte. Ein Kribbeln lief mir den Ruecken herunter bis zum Hintern. Wenn man dann selber aufgerufen wurde, war man schon ziemlich fertig. Dabei stand einem die eigentliche Zuechtigung erst noch bevor. šberdies bekam niemand nur eine Tracht Pruegel. Infolgedessen stand jeder mindestens ein zweites Mal mit brennendem Hintern vor der Wand und hoerte wiederum die anderen leiden, in der Gewissheit, selber noch einmal rangenommen zu werden.

Andreas war der erste, der aufgerufen wurde, wie so haeufig, wenn es an's Strafen ging. Dreissig mal hoerten wir den Rohrstock klatschen. Wir anderen folgten in gleicher Weise nach. Allein Egon, welcher der letzte dieser ersten Runde war, bekam nur fuenfundzwanzig Hiebe. Dann war wieder Andreas an der Reihe. Diesmal war die Aufforderung, sich zu buecken, mit der Forderung, die Hosen runterzulassen, verbunden. Andreas' Stoehnen unter den naechsten dreissig Hieben war lauter als beim ersten Durchgang. Michael und Thomas mussten ihre Hiebe ebenfalls mit nacktem Hintern einstecken. Wir anderen kamen um diese Strafverschaerfung herum. Ich erhielt stattdessen meine zweite Tracht mit dem Schlagleder. Auf den Striemen der ersten Strafe loderte ein wahres Feuer auf, zumal der Lehrer ordentlich ausholte. Dabei biss ich die Zaehne zusammen, um ja nicht aufzuschreien. Diesen Triumph wollte ich ihn nicht goennen. Es kostete mich einige Kraft, aber ein Stoehnen war alles, was ueber meine Lippen kam. Erst auf dem Gang zurueck zur Wand merkte ich richtig, wie hart er mich gezuechtigt hatte. Fuer mich und die meisten anderen war es damit ausgestanden.

Nicht jedoch fuer Andreas, Michael und Thomas. Natuerlich mussten sie wieder ihre Blanken hinhalten. Und die Geraeusche verrieten uns, dass auch sie jetzt das schwere Leder zu spueren bekamen. Dreissig schonungslose Hiebe lang. Bis auch sie erneut in die Reihe der versohlten Hintern zuruecktraten.

Ein Rascheln war das naechste, was wir hoerten. Wie ich aus den Erzaehlungen meiner Kameraden wusste, legte der Lehrer jetzt die Zeugnisse eines jeden auf seinen Platz. Zuletzt rief er abermals Andreas nach vorne. Nun setzte der Lehrer die Gerte ein, sie muss tief in das Sitzfleisch eingeschnitten haben. Andreas' Schreie gingen erst nach Ende der Tortur in ein Schluchzen ueber. Trocken meinte dazu der Lehrer nur, er solle mit der Heulerei aufhoeren, er habe es schliesslich verdient und sollte sich deshalb nicht so anstellen. Andreas zwang sich zur Ruhe und wir durften endlich unsere Zeugnisse nehmen und gehen.

Auf diese Weise "verabschiedet" erinnerten uns die Striemen noch tagelang an die Schule. Irgendwann nahm ich schliesslich das letzte Zeugnis dieser Schule in Empfang.

Lutz, Berlin 


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