Maxe (German)


by Hans Jorgens

Als Stadner den Wagen zum Halten bringen konnte, war es schon zu spaet. Urploetzlich war der Junge mit seinem Fahrrad aus einer schmalen Seitenstrasse geschossen gekommen und hatte, obwohl im letzten Augenblick noch abbremsend, sein Auto vorne rechts erwischt. Als er sich von dem ersten Schreck erholt hatte, stieg er aus und kuemmerte sich zunaechst um den in Embryohaltung auf dem Asphalt liegenden Bengel. Er war 12 bis 13 Jahre alt und trug lediglich T-Shirt, Turnhose und Sandalen.

"Hast du dir wehgetan?", fragte Stadner und strich dem Jungen ueber den kurzen, dunkelblonden Haarschopf. 'Was fuer ein huebsches Kerlchen', dachte er. Langsam setzte der Junge sich hin und schuettelte mit einer unwillkuerlichen Bewegung den ersten Schock ab. Sein linkes Knie wies eine leichte Hautabschuerfung auf und ebenso sein linker Arm. Aber es blutete noch nicht einmal. Sein Fahrrad sah allerdings etwas mitgenommen aus. Als der Junge es so am Strassenrand liegen sah, fing er fast an zu heulen.

"Na, na", sagte Stadner beruhigend, "alles halb so schlimm. Du hast wirklich ein Riesenglueck gehabt, dass dir nichts Schlimmeres zugestossen zu sein scheint. Tut dir irgendwas weh? Kopf, Rippen, Bauch?". Der Junge sah ihm zum ersten Mal voll ins Gesicht. "Nich', dass ick wuesste", sagte er mit heller Stimme, "aber meen Rad ist kaputt".

"Das kriegt man repariert", sagte Stadner. "Ein Tag in der Werkstatt, und es ist wie neu." Dann ging er zu seinem Wagen. Am rechten unteren Kotfluegel war deutlich eine kleinere Delle auszumachen. Wahrscheinlich war das Fahrrad mit der linken Pedale dagegen geknallt. Der Lack war abgeblaettert. Stumm gesellte sich der Junge zu ihm.

"Du weisst, dass dies eine Vorfahrtstrasse ist. Da wird wohl die Versicherung deiner Eltern dran glauben muessen. Wie heisst du eigentlich?", fagte Stadner.

Er schwieg zunaechst. Dann kam ein widerstrebendes "Max."

"Und der Nachname?"

Schweigen. Dann: "Kollwitz".

"Und wo wohnst du?"

Laengeres Schweigen.

"Na?"

"In der Strasse, aus der ick eben jekommen bin."

"Na, wie praktisch", sagte Stadner. "Dann lass uns doch mal gemeinsam zu deinen Eltern gehen und das Notwendige besprechen."

Stadner spuerte, dass der Junge neben ihm leicht zusammenzuckte.

"Ick gloobe, es ist niemand zuhause", sagte er eine Spur zu hastig.

"Du glaubst? Das heisst ja nicht wissen. Lass uns doch einfach mal nachsehen."

Er betrachtete das schlanke Kerlchen und laechelte. "Wohl Schiss, was?", sagte er freundlich.

Der Junge nickte: "Det kann man so sagen."

"Tja, mein Lieber, ich habe aber eigentlich wenig Lust, meinen Schaden selber zu bezahlen. Da musst du jetzt wohl durch. Verstehst du das, Max?"

Angedeutetes Nicken. "Muss wohl, wa?"

Der Junge gefiel ihm.

"Deine Eltern werden dir schon nicht gleich den Kopf abreissen".

Sein Gesichtsausdruck schien zu sagen: "Wetten, doch?".

Dieser Sommerabend versprach, noch recht interessant zu werden. Stadner legte dem Jungen die Hand auf die Schulter und sagte: "Wir legen dein Rad in meinen Kofferraum, und dann fahren wir zusammen zu dir. Okay?".

Kurzes Nicken.

Nach etwa fuenfzig Metern zeigte Max auf ein weisses Einzelhaus mit der Nummer 28. "Da ist es", sagte er schlicht.

Stadner hielt am Strassenrand an, und sie stiegen aus. Dann hob er das zerbeulte Fahrrad aus dem Kofferraum, und Max oeffnete die Gartenpforte. Sie gingen auf die Eingangstuer zu.

"Hast du einen Schluessel?", fragte er den Jungen.

"Hab' ick. Aber hab' ick jrad' nich' mit, wa."

Stadner musste unwillkuerlich grinsen. "Und wie willst du ins Haus kommen, wenn sonst niemand zuhause ist?"

"Wollt' ick ja jar nich', wa."

Der berlinernde Bengel amuesierte ihn. "Tja, dann wollen wir mal klingeln", sagte er und streckte die Hand aus.

"Muss denn det wirklich sein?", fragte der Junge und wirkte auf einmal besorgt.

"Ich denke schon", sagte Stadner, "oder hast du eine bessere Idee?"

"Nich' wirklich", sagte Max, "aber se riskieren, dass ich jleich maechtig Ärjer kriege, wa."

Stadner sah den Jungen voll an. "Und was heisst das? Fernsehverbot? Stubenarrest?"

Der Junge winkte ab. "Kleene Fische! Nee, nee, ick werd' wohl jehoerige Kloppe kriejen!"

Stadner horchte auf. "Kloppe? Du meinst, Schlaege, oder was?"

"Jenau. Meen Vater is' da ziemlich offenherzig, wenn se vastehen, was ick meene."

Stadner zoegerte und ueberlegte. "Tja, also mein Vater haette mir sicherlich auch den Hintern versohlt, wenn ich so unvorsichtig gewesen waere wie du. Aber es ist lange her, dass ich in deinem Alter war. Heutzutage ist doch so was aus der Mode gekommen, dachte ich immer."

"Meen Vater interessiert sich nich' fuer Mode, wa.", sagte der Junge. "Meen Bruder und ich kriegen se jedenfalls reichlich, wenn wa wat ausjefressen ha'm."

Stadner wusste nicht, was er tun sollte. Den Jungen einfach so davon kommen lassen? Nein, das kam nicht in Frage. Der Schaden am Auto war schliesslich offensichtlich. Und vielleicht tischte der Junge ihm sowieso Maerchen auf. Allerdings glaubte Stadner nicht, dass er log.

"Ist dein Vater denn wirklich so streng?", fragte er, um irgendwas zu sagen.

"Det koenn'se wohl glooben. Aber ick hab' se immer verdient, wenn ick se krieje."

"Na, das ist ja immerhin was. Heute haettest du sie dann auch verdient, oder?"

"Ick gloobe, ja. Also tun se schon, wat se nich' lassen koennen, wa."

Stadner musste lachen. "Na, dann, Max. Auf in den Kampf!"

Er drueckte auf den Klingelknopf, und nach wenigen Augenblicken wurde die Tuer geoeffnet. Ein grosser, kraeftiger Mann Mitte vierzig blickte auf ihn hinunter, erstaunt und ein wenig misstrauisch. Dann sah er Max und dessen wohl ziemlich schuldbewussten Ausdruck.

"Ja, bitte?", sagte er mit wohltoenender Stimme.

Stadner stellte sich vor und erlaeuterte kurz das Vorgefallene. Der Mann in der Tuer bedachte Max mit einem Blick, der Baende sprach.

"Kollwitz", sagte er schliesslich und streckte Stadner seine Rechte entgegen. Sie schuettelten sich die Haende. "Komm' Se rin in die jute Stube".

Stadner liess sich ins geraeumige, mit schweren Eichenmoebeln ziemlich konservativ eingerichtete Wohnzimmer fuehren. An einer Wand hingen mehrere Geweihe.

"Nehm' Se Platz und Anteil", sagte Herr Kollwitz. "Und du stellst dir jefaelligst da drueben uff", wies er Max an. Der Junge gehorchte sofort und ging an die befohlene Stelle.

Stadner ging auf die Sitzecke zu, die aus wuchtigen, dunkelbraunen Sesseln und einem ebensolchen Sofa bestand. In einem der Sessel sass ein aelterer Mann, der sich halb von seinem Platz erhob und Stadner die Hand gab. "Kollwitz, Walter", stellte er sich vor. "Ick bin hier der Opa." Stadner laechelte und erwiederte den dargebotenen Gruss.

"Also", begann Kollwitz junior und setzte sich auf das Sofa, "ick wiederum bin der Vater von Maxe und der Sohn von Walter. Meen glaenzender Vorname ist Karl-Heinz."

Stadner musste schon wieder laecheln. Diese Familie war ihm, ob er es wollte oder nicht, auf Anhieb symphatisch.

"Dann jibt's da noch meene Gattin Uschi und unsern zweeten Sohn Timo. Die Jemahlin ist ausserhaeusig, und der Sohn ist oben in seenem Zimmer. Nur, damit Se bescheid wissen ueber die hiesigen Vahaeltnisse. Woll`n Se was trinken? Ick hab' jedenfalls Durst."

"Gerne ein Mineralwasser, wenn Sie haben. Es ist ja doch ziemlich warm heute."

"Maxe, ab in die Kueche, Selter holen", wies Herr Kollwitz seinen Sohn an. Der setzte sich sofort in Bewegung.

"So, nu woll'n wa mal ins Jeschaeft kommen", wandte sich der Hausherr wieder an Stadner. "Erzaehl'n Se uns doch bitte die janze Jeschichte von Anfang bis Ende."

Waehrend der Junge mit drei Glaesern zurueckkehrte, sie vor den drei Maennern auf den Tisch stellte, Mineralwasser einschenkte und sich dann wieder an seinen Platz verfuegte, berichtete Stadner noch einmal ausfuehrlich, was sich etwa einer Viertelstunde zuvor abgespielt hatte. Dabei versuchte er, die Rolle des Jungen so zurueckhaltend wie moeglich zu schildern.

Die beiden Maenner hoerten ihm aufmerksam zu, waehrend Max mit haengendem Kopf dastand, die Haende vor seinem Unterkoerper verschraenkt.

Als Stadner seinen Bericht beendet hatte, wandte sich Karl-Heinz Kollwitz an seinen Sohn.

"Is' det so richtig, wie Herr aeh...",

"Stadner."

"... wie Herr Stadner det soeben erzaehlt hat?", fragte er.

Max sah seinen Vater an. "Det stimmt leider allet so".

"Wie oft hab' ick dir jesagt, det du nich' so wild mit deene Kiste durch die Jejend heizen sollst?".

Beredtes Schweigen.

"Und wie oft hab' ick dir jesagt, det du jerade an der Ecke auf die Vorfahrt achten sollst, Bengel?"

Noch beredteres Schweigen.

Herr Kollwitz wandte sich wieder an Stadner: "Also erstens, det det klar ist: Se kriejen den Schaden an ihrem Auto selbstvastaendlich ersetzt. Lassen Se doch bitte een entsprechendes Jutachten machen und schicken et an mich. Ick werde dann umgehend meene Vasicherung mit dem Fall betrauen. Zwotens: Ick werde meenen Herrn Sohn jetzt fuer sein Verhalten bestrafen und biete Ihnen an, als Zeuje dabei zu sein, damit Se wissen, was in meenem Haus mit Bengels jeschieht, die nich' auf ihren Vater hoeren wollen. Wenn Se dafuer allerdings zu sensibel sind, duerfte ich Sie hoeflich bitten, vorher zu jehen. Ick sage Ihnen aber janz ehrlich, det ich Ihnen vabunden waere, wenn Se der Bestrafung aus erzieherischen Jruenden beiwohnen wuerden, aber det ueberlass ich selbstvastaendlich janz Ihrem Feinjefuehl."

Stadner nahm hastig einen Schluck von seinem Wasser. Er wusste von Max, was wahrscheinlich gleich geschehen wuerde, hielt es aber fuer klug, sich dessen durch Nachfragen zu versichern.

"In welcher Form werden Sie Max denn bestrafen?"

"Det sage ich Ihnen janz offen, meen Herr: ick werde ihm jehoerig det Hinterteil einfaerben, wenn Se vastehen, wat ick damit meene."

"Vati ..."

"Schnauze. Also, meen Sohn kennt diese Art der Bestrafung sehr jut, und von daher broochen Se sich keene groesseren Vazierungen abbrechen, wenn Se sich det Schauspiel ansehen."

Stadner wand sich sinnbildlich auf seinem Sessel. Als Junge hatte er einmal in Gegenwart eines Nachbarn Dresche bezogen. Das war ihm aeusserst unangenehm gewesen, hatte jedoch eine sprunghafte Besserung seines Verhaltens fuer Monate bewirkt, weil er eine Wiederholung in jedem Falle vermeiden wollte.

"Ich bin einverstanden", hoerte er sich mit fremder Stimme sagen. Nun war es entschieden.

"Na also", sagte Herr Kollwitz. "Maxe, komm her!"

Der Junge zoegerte nur eine Sekunde, dann setzte er sich in Bewegung. Als er vor seinem Vater stand, sah der ihm fest in die Augen und fragte: "Haste deene Kloppe vadient?"

Max senkte den Kopf. "Ick gloobe, ja", murmelte er undeutlich.

"Ick hab' dich nich' verstanden, Jungel!"

"Ick gloobe, ja", wiederholte Max nun lauter.

"Na also, et jeht doch. Hosen 'runter!"

An der Reaktion von Max bemerkte Stadner, dass er sich nicht verhoert hatte. Der Junge sah kurz zu ihm hinueber, blickte dann seinen Vater an und fragte schliesslich: "Vor dem da?"

"Ja, vor dem da. Oder wessen Auto hat durch dich 'ne Beule?"

Max zoegerte noch. "Kannste nich auf die Turnhose oder auf die Unterhose...?"

"Nee, kann ick nich', Maxe. Det waer' ja wohl ooch janz wat Neuet, wa?"

Der Junge gab sich geschlagen. Langsam zog er Turnhose und Slip zusammen ueber seine Pobacken so weit nach unten, bis sie von alleine weiterrutschten und endlich auf den Fussknoecheln landeten.

Und dann ging alles ganz schnell. Herr Kollwitz packte Max fest am Oberarm, zog ihn zu sich heran, legte ihn ueber seine Oberschenkel und liess den ersten kraeftigen Hieb auf den nackten Hintern klatschen.

"Auuuaa!", heulte der Junge auf.

KLATSCH! KLATSCH! KLATSCH! KLATSCH! KLATSCH! KLATSCH! KLATSCH! KLATSCH!

Schnell faerbten sich Maxes glatte Hinterbacken rosig ein.

KLATSCH! "Auuuaaaaa!!" KLATSCH! "Auuuuuuuuu!!" KLATSCH! "Uuuuuuuuhhhh!!" KLATSCH! "Uuuuuhuuuuuu!! KLATSCH! "Uhuuuuuuhuuuuuhuuuuhuuuuuuuuuu!!!"

Anfangs hatte Stadner unbewusst die Schlaege mitgezaehlt. Inzwischen starrte er nur noch fasziniert auf das Geschehen, das sich keine anderthalb Meter von ihm entfernt abspielte. Verzweifelt trat der Junge mit den Fuessen Loecher in die Luft, waehrend er immer haltloser heulte und jammerte.

KLATSCH! KLATSCH! KLATSCH! KLATSCH! KLATSCH! KLATSCH! KLATSCH! KLATSCH! Ohne Unterbrechung und anscheinend ohne groessere Kraftanstrengung haute Herr Kollwitz seinem Sohn in klassischer Manier den Hintern voll. Weiter und weiter ging die Bestrafung, lauter und lauter schienen die Geraeusche seiner kraeftigen Hand auf den sich dunkler und dunkler einfaerbenden Hinterbacken des sich windenden Jungen zu werden. Maxe jammerte zum Herzerweichen, doch wessen Herz erweichte er? Das seines Vaters ganz bestimmt nicht, denn der setzte die Zuechtigung ungeruehrt fort, methodisch, gleichmaessig, unerbittlich in ihrer Konsequenz. Das war kein mildes Poausklatschen, o nein - das war eine herzhafte Abreibung der traditionellsten Art. Maxes Hosen waren auf Grund seiner heftigen Bewegungen laengst durch den Raum geflogen und hatten sich auf dem Fussboden verteilt. Stadner fuehlte sich zunehmend in seine eigene Kindheit zurueck versetzt. Auch er hatte zusammengerechnet so manche Stunde in genau der Stellung verbracht, die Max jetzt so hoer- und sichtbares Unbehagen bescherte. Doch das war dreissig Jahre und laenger her.

KLATSCH! KLATSCH! KLATSCH! KLATSCH! KLATSCH! KLATSCH! KLATSCH! KLATSCH! KLATSCH! KLATSCH! KLATSCH! KLATSCH! KLATSCH! KLATSCH! KLATSCH! KLATSCH!

Irgendwann hoerte es dann doch auf. Herr Kollwitz liess seinen Sohn auf den weichen Teppich gleiten, wo der Junge sich ein Weilchen ausheulte, waehrend der nun doch erschoepfte Vater sich mit kurzer Bewegung ein bisschen Schweiss von der Stirn wischte und dann einen kraeftigen Schluck Mineralwasser trank.

"Ab in die Ecke, Haende hinter den Kopp!", befahl Herr Kollwitz, und Max trollte sich dort hin, wo er sicherlich schon haeufig nach einer Abreibung gestanden hatte und wo sein versohltes Hinterteil von den drei Maennern ohne Muehe zu betrachten war. Doch kein Reiben seiner vier Buchstaben war erlaubt, nicht einmal die reichlich geflossenen und mit den vereinzelten Schluchzern sicherlich immer noch hervorschiessenden Traenen durfte der Junge sich abwischen. Da stand er nun in T-Shirt und Sportschuhen und bedauerte seinen Leichtsinn zutiefst.

Herr Kollwitz wandte sich an Stadner: "Zufrieden, bester Herr?", fragte er augenzwinkernd.

Stadner stand noch ganz unter dem Eindruck des eben Erlebten. "Ich bin ehrlich ueberrascht, dass es in dieser Zeit noch Familien gibt, in denen Traditionen so konsequent fortgefuehrt werden, die eigentlich ja voellig aus der Mode gekommen sind. Das hat mich schon sehr beeindruckt, muss ich zugeben."

"Wissen Se, ick muss Ihnen sagen, det det tatsaechlich eene Tradition hat. Eene Familientradition, meene ick damit. Der alte Herr von meenem alten Herrn hat von seenem alten Herrn schon reichlich Senge bezogen. Meen alter Herr, was der hier vertretene Walter Kollwitz ist, hat von seenem alten Herrn den Stock im Dutzend billiger aufjebrannt bekommen. Und ick als Karl-Heinz Kollwitz habe in meener wilden Jugend von meenem alten Herrn ooch reichlich den Arsch voll jekriegt. Wir sind allesamt janz anstaendige Menschen jeworden, wie ick gloobe, behaupten zu duerfen, und haben alle im Leben een bisken wat erreicht. Warum, so frag ick Sie jetzt mal janz unvoreinjenommen, sollte ick denn nun bei meinen eigenen Bengels ploetzlich eenen auf Dalai Lama machen? Nee, nee, wenn se richtig Mist jebaut haben, kommen die Beinkleider runter, und et jibt, wie man so schoen sagt, wat auf die Globen. Die Botschaft kapier'n se naemlich komischerweise immer!"

"Aber es ist angeblich nicht mehr zeitgemaess und ab dem naechsten Jahr sogar gesetzlich verboten", sagte Stadner. "Leider", fuegte er hinzu, um seine Einstellung dazu deutlich zu machen.

Der alte Kollwitz schnaubte in der Art eines Pferdes durch die Nase. "Wenn ick mich mal janz kurz einmischen darf, die Herren, aber det Thema macht mich nun mal janz wuschelig. Wer sind diese Leute, die Eltern ihr Erziehungsrecht wegnehmen wollen? Was bilden die sich eigentlich ein? Det hat Jahrhunderte lang bestens funktioniert und soll nun auf einmal eene Art Vabrechen sein? Bei denen tickt et doch nich' richtig, sag' ich jetzt mal so. Entschuldigung, aber so een Bloedsinn treibt ma direktemang ins Irrenhaus!"

"Da ist ziviler Ungehorsam Buergerpflicht", ergaenzte Karl-Heinz Kollwitz. "Und in diesem Sinne jeht et jetzt in Runde Zwo. Maxe, Ende mit Eckestehen, komm' her und 'rueber ueber'n Sessel!"

Der schlanke Junge drehte sich um und bedeckte seine vordere Bloesse mit den Haenden. Mit verheulten Augen und trotzigem Gesichtsausdruck ging er auf den letzten freien Sessel zu und legte sich baeuchlings ueber eine der Seitenlehnen. Herr Kollwitz erhob sich, ging zu dem wuchtigen Wandschrank, oeffnete eine der unteren Schubladen und holte etwas daraus hervor, das Stadner mal auf einem alten Foto gesehen hatte. Es war eine hellbraune Peitsche mit Ledergriff und mehreren gebuendelten Riemen.

Max hatte die Schubladengeraeusche gehoert und jammerte los: "Bitte Vati, nicht mit dem Striemer! Ick hab' doch meene Wucht schon wech!!"

"Det ist wahr, mein Sohn, aber die war fuer den Leichtsinn mit deinem Fahrrad. Jetzt kriegste noch welche wegen der Beule im Auto von Herrn Stadner."

"Ouuh, ouuh, bitte nicht!!"

"Zehn Stueck, Maxe. Backen locker lassen und mitzaehlen!"

Herr Kollwitz begab sich sich in eine guenstige Schlagposition und nahm Mass.

FLATSCH!

"Ouuh! Eins!"

FLATSCH!

"Oouuh!" Zwei!"

FLATSCH!

"Ouuuuuh! Drei!"

FLATSCH!

"Uuuhuuuuh! Vier!"

FLATSCH!

"Uuuuuuuhuuuuuuuuuuhuuuuu!! F...fuenf!!"

Der rotgepruegelte Hintern des Jungen ueberzog sich mit den Spuren der duennen Lederriemen.

FLATSCH!!

Herr Kollwitz legte noch einen Zahn zu.

"Aaaaaauuuuuaaaaaahhhhh!! Sechs!!"

Ploetzlich wurde die Wohnzimmertuer geoeffnet, und ein etwa vierzehnjaehriger Junge betrat den Raum. Er war genau so huebsch wie Max und trug ebenfalls nur das Noetigste am Leib. Als er das Geschehen begriffen und dazu Stadner entdeckt hatte, ueberzog sich sein Gesicht mit tiefer, verlegener Roete.

"Ick jehe jetzt zur Nachhilfe und danach noch zu Marco", sagte er.

"Timo, meen Ältester", bemerkte Herr Kollwitz, "ooch so'ne Nummer fuer sich. Sag' dem Herrn Guten Tag!"

"Guten Tag", echote der Junge.

"Um Neune biste zuhaus, verstanden?"

"Verstanden", sagte Timo und verabschiedete sich eilig. Ein frischer Duft von Seife und Zahnpasta blieb im Raum haengen. Max schluchzte leise vor sich hin.

FLATSCH!!

"Auuuuhuuhhuuuuuu!! Sieben! Bitte, bitte, bitte, Vati!!"

FLATSCH!!

Aufjaulen, haltloses Weinen. "Ahacht!!"

Die Hinterbacken des Jungen schienen gleichsam Hitze zu verstroemen. Auch die Oberschenkel hatten inzwischen ihren Teil abbekommen.

FLATSCH!!

"Aaaaauuuuuuuuuaaaaaaaaaaaaaaaa!!! N...n...neuun!"

Karl-Heinz Kollwitz beendete sein Werk ohne Worte. Sie waren auch nicht noetig; hier war alles laengst gesagt.

FLATSCH!!!!

Der Hintern des Jungen hob kurz von der Lehne ab. Heftiges Aufheulen. "Zeheeeen!!"

Es war vorbei, und Stadner war erleichtert, obwohl ihn das ganze Geschehen gegen seinen Willen auf das Hoechste fasziniert, ja geradezu erregt hatte. Herr Kollwitz ging in aller Seelenruhe zu dem Schrank und legte das Zuechtigungsinstrument in die Schublade. Dann hob er Turnhose und Slip seines Sohnes auf und warf sie auf die Sitzflaeche des Sessels, ueber dessen Lehne der Junge immer noch in der befohlenen Haltung lag und sich regelmaessig wiederkehrenden Schluchzern zu erwehren versuchte. Maxes versohltes Hinterteil schien den ganzen Raum auszuleuchten.

"So, meen Freund, zieh' die Hosen ueber deenen Gluehofen und sieh' zu, det de Land jewinnst. Um Neune biste bettfein und dann ab in die Falle."

Max kam langsam, sehr langsam hoch, griff nach seinen Sachen und zog sie mit Leidensmiene ueber seine wunden Pobacken. Sein zutiefst beleidigter Gesichtsausdruck unter dem streichholzkurzen Haarschopf hatte etwas Anruehrendes. Immer wieder wischte er sich mit dem Handruecken ueber die verheulten Augen. Unterhalb des Saumes seiner sehr kurzen Turnhose waren etliche Striemen zu sehen, die die Klopfpeitsche auf der glatten Haut des Jungen verursacht hatte.

Maxe ging auf Stadner zu und gab ihm die Hand. "Entschuldigung", sagte er "soll nich' wieder vorkommen!"

Stadner musste laecheln.

"Det waer' wohl ooch'n Riesenzufall, wa", bemerkte Herr Kollwitz trocken. Maxe grinste schief und verabschiedete sich hoeflich.

"Was fuer ein herrlicher Bursche", sagte Stadner, als der Junge die Tuer hinter sich geschlossen hatte.

"Det koenn' Se laut sagen, bester Herr. Ick bin maechtig stolz uff die beeden Racker, ooch wenn se jelejentlich noch dringend den Arsch voll benoetijen."

Etwas spaeter, nachdem die Maenner sich freundlich voneinander verabschiedet hatten, verliess Stadner das Haus und machte sich auf den Weg zu seinem Auto. Minutenlang betrachtete er versonnen den leicht beschaedigten Kotfluegel. Dann entschloss er sich, noch einen laengeren Spaziergang zu machen, bevor er sich ans Steuer setzte. Waehrend er zuegig dahinschritt, dachte er unentwegt an Walter und Karl-Heinz und Timo und Max Kollwitz. Der Einblick in den Alltag anderer Leute hatte ihn gaenzlich aus seinem eigenen herausgerissen.

Als Stadner nach einer knappen Stunde zu seinem Auto zurueckkehrte, stand Maxe vor dem Gartenzaun. Die Traenenspuren waren laengst aus seinem huebschen Gesicht verschwunden, doch unterhalb des Turnhosensaumes waren noch deutliche Striemen zu sehen. Stadner raeusperte sich leicht verlegen und fragte den Jungen schliesslich, ob er schon oefter welche mit der Peitsche bekommen haette. "Det is'n westfaelischer Siebenstriemer", belehrte ihn Max mit wichtigem Gesichtsausdruck. "Den hat meen Opa an meenem Vater ausprobiert. Vom Erjebnis her muss det janz zufriedenstellend jewesen sein, denn det Ding is' immer noch in Betrieb." Stadner musste lachen. Fast haette er einem starken Impuls nachgegeben und den Bengel in den Arm genommen. Doch schliesslich unterliess er es und streckte ihm lediglich die Hand entgegen. Maxe nahm sie und schuettelte sie mit kraeftigem Druck. "Pass' auf dich auf", sagte Stadner. "Det jeht schon klar,", toente der Junge, "Kloppe verjeht, Hintern besteht!".

Als Stadner den Wagen gestartet hatte und langsam davonfuhr, hob Maxe kurz die Hand zum Gruss und blickte ihm noch hinterher. Dann oeffnete er die Pforte und verschwand im elterlichen Garten.


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