Sven-Ole Lernt Das Aufstehen


by Hans Jorgens

Nicht ahnend, was gleich auf ihn zukommen wuerde, drehte sich Sven-Ole noch einmal in seinem warmen Kuschelbett herum. Nur ein dunkelblonder Haarschopf und ein Fuss lugten unter der Decke hervor. Es war viertel vor sieben Uhr an einem ganz normalen Dienstagmorgen.

Unten in der Kueche hantierte Frau Klinger gereizt mit Fruehstuecksbrettchen und Bestecken herum. Zwei Mal hatte sie bereits versucht, Sven-Ole vom unteren Treppenabsatz her mit lauten Rufen zum Aufstehen zu bewegen. Es schien ihr nicht gelungen zu sein. Seit Wochen erlebte sie nun an jedem Schultag das selbe Theater, und stets benoetigte es diverse Aufforderungen, bis ihr Herr Sohn sich endlich doch noch bequemte, sein Bett zu verlassen, um dann mit mauligem Gesichtsausdruck bedeutungsvoll schweigend ins Bad zu schlurfen. Und jeden Morgen - so schien es ihr zumindest - wurde die Zeit zwischen Aufstehen und Schulbeginn immer knapper. Es brodelte in ihr.

Zum wiederholten Male duedelte der Wecker mit seinem Dreiton-Stakkato Nerven zerfetzend vor sich hin. "Schnauze!", sagte Sven-Ole, und der gute 'Braun Voice Control' gehorchte sofort. O koestliche Stille! Ganz schnell kehrte Sven-Ole noch einmal zurueck ins Land der Traeume.

Frau Klinger blickte auf die Wanduhr. Immer noch kein Geraeusch von oben. Wuetend knallte sie ein Glas auf den Fruehstueckstisch und verliess die Kueche. Dann nahm sie jeweils zwei Treppenstufen auf einmal und betrat schliesslich das Zimmer ihres Sohnes. Wie erwartet, lag Sven-Ole noch im Bett.

"Aufstehen! Waschen! Fruehstueck!"

"Mmmmmmmmhhh", toente es unwillig von irgendwoher.

Sie ruettelte an dem unter der Bettdecke verborgenen Koerper ihres Sohnes.

"Ja, ja!!"

"Nix ja, ja. Hoch jetzt mit dir, und zwar hopp di hopp! Wenn du nicht aufstehst, passiert gleich was, mein Freundchen".

"Ich mach' ja schon!!"

"Gut. Bis gleich!"

Frau Klinger hatte es eilig und beging daher den Fehler, nicht neben dem Bett stehen zu bleiben, bis der Junge auch tatsaechlich aufgestanden war. Und da es wieder still im Zimmer wurde, schloss Sven-Ole noch einmal die Augen. Diese bleierne Muedigkeit! Warum hatte er gestern Abend auch wieder bis in die Puppen gelesen? Erneut begann das Duedeln des verdammten Weckers, und wieder einmal half der altbewaehrte Befehl: "Schnauze!!"

Frisch geduscht und glatt rasiert betrat Herwig Klinger die Kueche, gab seiner Frau ein Kuesschen auf die Wange und bemerkte sogleich, dass etwas nicht stimmte. "Ist was?", fragte er vorsichtig. Der _s_e_x_ am Abend zuvor war nicht besonders toll gewesen, und das hatte, wie er sich eingestehen musste, hauptsaechlich an ihm gelegen.

Baerbel Klinger drehte sich zu ihrem Mann um und sagte: "Dein Sohn wollte mal wieder nicht aufstehen. Drei Anlaeufe habe ich allein heute gebraucht. Der Wecker interessiert ihn offenbar ueberhaupt nicht mehr. Davon abgesehen, dass ich absolut keine Lust mehr habe, die Hofdame fuer den gnaedigen Herrn zu spielen, schafft er es auch kaum noch, zu fruehstuecken, und hetzt dann mit fast leerem Magen zur Schule."

"Hau' ihm doch mal ein paar hinten drauf, vielleicht spurt er dann!"

"Das ist einer deiner wenigen Jobs in dieser Familie", sagte sie, eine Nuance zu boese. Wann hatte sie selbst Sven-Ole zuletzt richtig was auf den Po gegeben? Das war lange her; acht oder vielleicht neun musste er damals gewesen sein. Seitdem hatte stets ihr Mann seinem Filius den Hintern versohlt, wenn es denn mal notwendig gewesen war.

Herwig Klinger spuerte, dass seine Frau diesmal richtig angefressen war. Er wusste, dass sie sich schon seit laengerem mit diesem Problem herumschlug. Und er wusste auch, dass er selbst, wohl aus Bequemlichkeit, sich ein wenig zu lange aus der Sache herausgehalten hatte. Ausserdem hatte er mal irgendwo gehoert, dass Jungs mit beginnender Pubertaet ein stark erhoehtes Schlafbeduerfnis eigen sei.

"Jetzt ist er aber doch wohl aufgestanden?", fragte Herr Klinger.

"Ich gehe mal davon aus. Allerdings habe ich noch kein Geraeusch aus dem Bad gehoert."

Das war in der Tat eigenartig, denn zumindest das Rauschen in den Wasserleitungen konnte man auch unten im Haus deutlich hoeren.

"Ich geh' mal eben zu ihm hoch", verkuendete Herr Klinger kurzentschlossen und erntete dafuer immerhin einen ansatzweise dankbaren Blick. Im oberen Stockwerk angekommen, oeffnete er als erstes die Badezimmertuer. Der Raum war leer und unberuehrt. Konnte es denn wirklich angehen? Herwig Klinger spuerte, wie der Ärger in ihm hochstieg. In einer ploetzlichen Eingebung griff er nach der hoelzernen Badebuerste mit dem langen Griff, die auf dem Badewannenrand lag. Dann ging er quer ueber den Flur auf die Kinderzimmertuer zu, auf der ein gelbes Schild mit der Aufschrift 'Betreten der Baustelle verboten' prangte.

Über Sven-Ole wurde es auf einmal hell. Jemand hatte ihm mit einem Ruck die Bettdecke vom Koerper gerissen. "Eeeeeey!", sagte er verschlafen und oeffnete die Augen. Dann ging alles ganz schnell. Herr Klinger zog seinem Sohn die Boxershorts bis zu den Waden herunter, drehte ihn auf den Bauch und liess die Badebuerste mit Wucht auf die entbloessten Hinterbacken sausen. Es gab ein lautes, klatschendes Geraeusch.

Von einer Zehntelsekunde zur naechsten war Sven-Ole hellwach. Und schon landete der naechste Hieb auf seinem Po. "Auuuuuaaaaaa!!!", bruellte er und versuchte instinktiv, den Schlaegen zu entkommen. Er drehte den Kopf und erkannte die kraeftige Gestalt seines Vaters sowie die Buerste in dessen Hand. Vor Schreck begann sein Herz wie wild zu klopfen.

Klatsch! Klatsch! Klatsch! Klatsch! Klatsch!

"Wirst du jetzt wohl endlich aufstehen?", sagte Herr Klinger und setzte die Bestrafung fort.

Klatsch! Klatsch! Klatsch! Klatsch! Klatsch!

"Auuuu, ich steh' ja schon auf! Auuuua! Auuuaaa!", rief Sven-Ole heulend. Sein Vater zog ihm noch drei saftige Hiebe ueber die Hinterbacken und liess es dann gut sein.

"Aber ganz fix, mein lieber Freund!", droehnte Herr Klinger.

"Di-di-di-di, Di-di-di-di, Di-di-di-di", liess sich der Wecker nun wieder vernehmen. Sven-Ole sprang geradezu aus seiner Koje. Schniefend drueckte er den Aus-Knopf und zog dann ganz schnell die Boxershorts ueber seinen schrecklich brennenden Hintern.

"Ab ins Bad jetzt, und in zehn Minuten sitzt du frisch gewaschen und gekaemmt am Fruehstueckstisch. Haben wir uns verstanden?"

"Ja", brachte Sven-Ole mit Muehe zwischen zwei heftigen Schluchzern hervor.

Auf dem Weg ins Badezimmer ging sein Vater hinter ihm her und haute ihm dabei kraeftig eins mit der Buerste auf den rechten Oberschenkel.

"Auaaaaaaa!"

Klatsch! Diesmal war der linke dran.

"Auuuuuuu!!"

Heulend erreichte Sven-Ole die Badezimmertuer und oeffnete sie. Herr Klinger ging mit in den Raum und legte die Badebuerste wieder an ihren Platz.

"Ab morgen stehst du sofort auf, wenn der Wecker klingelt. Kapiert?"

Sven-Ole nickte heftig.

"Und zwar zack-zack und ohne jedes Gemaule. Verstanden?"

"Ja."

"Und wenn mir von deiner Mutter auch nur die kleinste Beschwerde zu Ohren kommt, dann kriegst du so lange den Hintern voll, bis er vorne 'rauskommt. Verlass' dich drauf!"

Mit diesen Worten verliess er das Badezimmer und knallte die Tuer derart wirkungsvoll zu, dass sie heftig in den Angeln zitterte. Auch Sven-Oles Haende zitterten, als er die Zahncremetube an die Buerste hielt.

"So, das Thema ist wohl erst mal erledigt", verkuendete Herwig Klinger und setzte sich an den mittlerweile fertig gedeckten Fruehstueckstisch.

"Ich hab's gehoert", sagte seine Frau knapp und nippte an ihrer Tasse mit koestlich duftendem Earl Grey.

Die Klingers waren sich in Erziehungsfragen weitgehend einig. Als, zu ihrem Leidwesen, schon bald nach der Geburt von Sven-Ole festgestanden hatte, dass sie keine weiteren Kinder mehr bekommen konnten, hatten sie sich geschworen, dass Ihr Sohn auf keinen Fall eines von diesen verwoehnten und verzogenen Einzelkindern werden sollte. In den 60er- und 70er-Jahren waren beide wie selbstverstaendlich mit Schlaegen erzogen geworden und aus diesen Erfahrungen heraus davon ueberzeugt, dass eine gelegentliche Tracht Pruegel durchaus eine heilsame Wirkung haben konnte.

Als kleines Kind hatte Sven-Ole des oefteren ein paar Klapse bekommen und dann, mit sechs Jahren, seinen ersten richtigen Hinternvoll. Seither war ihm diese besondere Form der elterlichen Zuwendung durchaus vertraut. Er konnte ganz gut damit leben und hatte einen gesunden, aber durchaus abgestuften Respekt vor seinen Eltern entwickelt, der mehr dem Vater als der Mutter galt. Gleichwohl konnte er mit fast jedem Problem zu ihnen kommen, ohne gleich Schlimmes befuerchten zu muessen. Seine Eltern liessen ihn spueren, dass sie ihn liebten, ohne ihn dabei zu verweichlichen. Auf sanften Druck war er vor drei Jahren einem Pfadfinderstamm beigetreten und hatte dort seine sozialen Faehigkeiten enorm erweitert. Und nun war er ein mit vielen Staerken und auch einigen Schwaechen ausgestatteter Dreizehnjaehriger, der, wie sein Freund Marcel es gerne ausdrueckte, "voll in die Welt passte".

Als Sven-Ole die Kueche betrat, merkte man ihm nur allzu deutlich an, wie es in ihm aussah. Er hatte eine Flunsch aufgesetzt, nahm am Fruehstueckstisch Platz, schaufelte sich Cornflakes auf den Teller, gab Milch dazu und fing schweigend an zu loeffeln.

"Guten Morgen!", sagte seine Mutter.

"Morgen."

Die Augen wirkten noch deutlich verheult. Er war gekraenkt und verlegen, sein Blick war nach unten gerichtet. Nur keine neue Angriffsflaeche bieten!

"Ich muss los", verkuendete der Vater und stand auf.

Frau Klinger erhob sich ebenfalls und drueckte ihrem Mann einen Abschiedskuss auf die Lippen. "Tschuess, mein Schatz, bis heute Abend!"

"Mach's gut, mein Sohn", sagte Herr Klinger betont munter.

Sven-Ole ueberlegte kurz, ob er ueberhaupt etwas antworten sollte, und entschied sich dann fuer ein ganz leises "Du auch". Seine Sitzflaeche tat weh, und er fuerchtete, dass spaeter, beim Sportunterricht, noch Spuren der vaeterlichen Erziehungsmassnahme sichtbar sein wuerden. Noch nie zuvor hatte er am fruehen Morgen einen Hinternvoll kassiert und auch noch nie zuvor mit dieser schrecklichen Badebuerste Bekanntschaft gemacht. In der Schule stand gleich zu Beginn sein Hassfach Mathe auf dem Stundenplan. Ausserdem war sein Fahrrad kaputt, und draussen regnete es offensichtlich Bindfaeden. Ach, wenn er doch einfach im Bett geblieben waere! Kaum hatte er dies gedacht, verzog sich sein Gesicht ganz kurz zu einem schmerzlichen Grinsen.


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