Norddeutschland im Fruehjahr Sommer 1985
Immer zu Ostern kam Onkel Karl aus Bayern zu der Familie Meier aufs Land in der Naehe von Brunsbuettel. Alle freuten sich auf Onkel Karl!
Warum?
Na, Onkel Karl brachte immer feine Geschenke mit! Letztes Jahr hatte er sogar fuer die beiden Jungs eine richtige Eisenbahn im Gepaeck gehabt. Extra mit dem Auto war er die lange Strecke gekommen, um die Jungs so richtig zu ueberraschen. Die Überraschung war gelungen.
Aber dies Mal wollte so recht keine Freude aufkommen. Beide Jungens bekamen eine riesige Schachtel. Als Peter, der Juengere, sein Paket aufmachte, fand er darin genau wie sein Bruder Wolfgang eine echte bayrische Lederhose. Dazu gab es ein rotkariertes Hemd und ein Buch. Fuer Beide exakt das gleiche.
Eine Lederhose!!!!
Was sollte ER denn DAMIT!!?
Mutter betrachtete die Sachen und meinte:
„Kaarrrl! Das muss doch ein Vermoegen gekostet haben. Das waere doch nicht noetig ...!"
„Zieht sie doch mal an!", meinte Onkel Karl.
Vater grinste ueber beide Backen, nickte mit dem Kopf und befuerwortete dieses Anliegen von seinem Bruder. Wolfgang machte gute Mine zum boesen Spiel und schluepfte bereitwillig in das ungewohnte Beinkleid, streifte das Hemd ueber und posierte sich vor dem Kamin.
Mit spitzen Fingern fummelte Peter dagegen an den Sachen.
„Das ziehe ich NICHT an. NIEMALS!", schwor er sich, „Schliesslich war er doch kein kleiner Junge mehr!".
„Bist du fertig?" neckte ihn Wolfgang, der seinen Bruder gut verstehen konnte. „Nun mach schon!".
„Naeaeae! Niiiieeeee!" dachte er, sagte aber, dass er das nicht wollte.
„Nun mach schon!" draengte ihn die Mutter, „Onkel Karl zuliebe!"
Mit einem inneren „Nein, nein und nochmals NEIN!" zog er eine Flunsch.
Inzwischen war Onkel Karl mit einem Photoapparat wieder ins Wohnzimmer gekommen. Wolfgang, vor dem Kamin stehend, nahm er ins Visier und machte einige Photos. Als er fertig war, blickte er auf Peter, der sich anschickte den Raum zu verlassen. Doch sein Vater trat ihm in den Weg. Er zeigte bestimmt auf das Paket und machte eine entsprechende Handbewegung.
„Na, nun lass mal den Jungen!" meinte Onkel Karl ein wenig traurig und trotzdem besaenftigend, „Wenn der Junge nun partout nicht will ...!"
„Er WILL!" meinte Vater Meier und runzelte die Stirn.
Peter, der diesen Ton nur zu gut kannte, schluchzte auf, und zwar so, dass sowohl die Mutter als auch Onkel Karl sofort dazwischen gingen.
„Ach Peterchen, wenn dir die Sachen nicht gefallen, dann nehme ich sie wieder mit und schicke dir etwas anderes dafuer, ja?".
Peters Gesicht erhellte sich und er wollte gerade erleichternd ein leises „Ja" erwidern, als er Vaters Stimme hoerte:
„Das kommt ueberhaupt nicht in Frage, Bruderherz. Lass mal gut sein. Der Peter muss sich erst einmal mit dem Gedanken anfreunden und schon bald – da bin ich mir sicher – wird er die Hose lieben wie sein Bruder."
Bei diesen Worten schaute er seinen Sohn scharf an.
„Aber Johann , ich kann das verstehen, wenn ... „.
„Schluss jetzt!"
Vater Meier beendete hiermit die Diskussion.
„Kaffee ist fertig und der Kuchen wird auch nicht besser, wenn er noch laenger auf dem Tisch steht."
Wolfgang zog sich schnell wieder um und Mutter raeumte die Sachen beiseite.
Damit war alles vergessen.
Wirklich?
Nicht wirklich!
Und wie entstand dann dieses Bild mit PETER in den Lederhosen?
Es war nicht wirklich alles vergessen.
Waehrend der folgenden Ostertage schon „wirklich", aber eben nicht endgueltig!
Wie die Jahre zuvor verbrachten die Meiers inklusive Onkel schoene Tage. Fuer Peter waren sie dieses mal nicht ganz so schoen, denn er kannte ja seinen Vater! Er kannte diesen verdammten Gesichtsausdruck, die Redeweisen seines Herrn Papa, wenn der Haussegen schief hing. Aber er wusste auch, dass Vater nicht eingreifen wuerde, solange Onkel Karl da war. Auch wenn sich die Brueder in vielem einig waren, in Erziehungsfragen ging es voellig auseinander.
Zwei Tage schon war Onkel Karl weg und Peter fuehlte sich hoechst unwohl. Vater musste kurzfristig auf Geschaeftsreise und kam uebelgelaunt am Donnerstag abend zurueck.
Wolfgang und die Mutter hatten schon den Vorfall verdraengt. Sie begruessten ihn als er in die Tuer kam.
„Wo ist Peter?"
Mutter wies auf die Uhr:
„Er ist heute frueher ins Bett gegangen, weil er noch lesen wollte. Wahrscheinlich schlaeft er schon."
Vater schaute seinerseits auf die Uhr und meinte: „Der und schon schlafen? Da lachen ja die Huehner! Na, wir beiden haben ja eh noch ein Huehnchen miteinander zu rupfen."
„Ach, nun lass doch den Jungen!"
Mutter wandte sich ab in die Kueche zu gehen. „Komm erst einmal und iss was, du hast doch bestimmt Hunger."
„Nein nein,..., das heisst, Hunger habe ich schon, aber ..., nein Martha, das lasse ich dem Jungen nicht durchgehen, das kann ich ihm nicht durch gehen lassen!"
Er hielt Wolfgang am Arm zurueck, der gerade die Treppe hinauf wollte:
„Du kannst deinem Bruder bestellen, dass er noch nicht schlafen braucht. Wir beide haben noch etwas zu bereden."
Wolfgang wisperte ein leises „Ja, Vati." und schlich hoch in sein Zimmer.
Herr Meier entledigte sich seines Mantels und setzte sich in die Kueche.
„Weisst du Martha, es wird Zeit, dass der Bengel Manieren lernt. Er muss es auch vertragen koennen, wenn ihm ein Geschenk mal nicht gefaellt und – wie sein grosser Bruder – einfach eine gute Mine aufsetzen. Und das gerade bei Karl. Hat er nicht die Jungs in den letzten Jahren geradezu verwoehnt? Weihnachten, zu den Geburtstagen, Ostern und und und. Immer gibt es tolle Geschenke und einmal, EINMAL bis jetzt nur kriegen sie mal, was ihnen nicht liegt und der Bengel zieht eine Flunsch, als wenn man ihm wer weiss was getan haette! Nein, nein, nein. Das werde ich ihm gehoerig austreiben"
„Du hast ja recht Vaeterchen. Aber zuerst musst du mal was essen. Moechst ein Bier zur Suppe?"
„Martha, du siehst das alles viel zu sehr aus ..., naja aus ... egal. Wenn ich mir DAS erlaubt haette, unser Vater haette uns an Ort uns Stelle die Jacken ausgehauen, das kannst du mir glauben, und zwar mit dem Stock. Dein Vater war doch auch nicht anders, oder?"
„ „Und
unser Bengel bekommt nur den Hinternvoll, aber das heute abend reichlich.
Wo ist eigentlich der Kochloeffel?" „Ja, natuerlich. Du hast recht.
Eigentlich lassen wir ihm viel zu viel in letzter Zeit durchgehen." Sie
geht zur Schublade und holt einen hoelzernen Kochloeffel heraus. „Da
hast du ihn, aber lass ihn heil." „Keine Angst, der alte gutbewaehrte
Traenentreiber wird schon sein Werk verrichten und wenn ich noch nicht
fertig bin, haben wir ja noch Opas Teppichklopfer im Keller." Die
Tuer ging leise auf. „Psst! Vati ist da und er will nachher noch
mit dir sprechen. Er glaubt nicht, dass du schon schlaefst!" Leise
klickte die Tuer wieder ins Schloss. „Scheisse, scheisse, scheisse!" Alles
in ihm verkrampft sich. Er wusste es! Er wusste es die ganze Zeit,
dass Vati es NICHT vergessen wuerde und das das ganze noch ein Nachspiel
haben wuerde. Vorsichtig schlich er zur Tuer und lauschte. Er hoerte
wie Vater in der Kueche mit Mutti redet, konnte aber nicht genau verstehen,
was. Er zitterte am ganzen Koerper, konnte keinen klaren Gedanken
mehr fassen. Als er endlich hoerte wie Vater die Treppe heraufkommt,
schien es ihm fast wie eine Erloesung. Schon ging die Tuer auf und
das Licht an. Sein Vater machte nie grosse Worte vorher. Er kam einfach
rein, schnappte sich ihn, Hose runter und der Tanz begann. So auch
diesmal. „Haette er doch nur ..." Peter bekam einen saftigen Hinternvoll
und heulte schon nach wenigen Sekunden wie ein Schlosshund. Dieses
Mal allerdings war die Wucht sehr heftig, so dass er noch eine halbe
Stunde danach heulend auf seinem Bettchen liegend keinen Schlaf fand.
Immer wieder und immer wieder durchzieht ihn ein unaushaltbarer Schmerz,
der ihn erneut aufheulen liess.. Normaler Weise wurde nach dem Hinternvoll
kein Wort mehr ueber das Geschehene verschwendet. Am naechsten Morgen
aber, es ist Samstag, nach dem Fruehstueck lockte ihn sein Vater mit
dem Zeigefinger in die Stube. Dort lagen die verhassten Sachen und
ein Photoapparat. Eine kurze Handbewegung und Peter zog brav die Sachen
ueber. Es fiel ihm noch ein bisschen schwer, aber nicht weil er die
Lederhose hasste, sondern weil die Lederne recht eng und sein Po immer
noch weh tat. Eine weitere Handbewegung von Vater und er stand vor
dem Kamin. Er sah nicht gerade gluecklich aus und schaemte sich mit
hochrotem Gesicht in Grund und Boden. Zwei Bilder waren schon im
Kasten als Vater sagte: „Mein Freund, wenn du nicht endlich ein
freundlicheres Gesicht machst, kriegst du sie hier und gleich noch
einmal. Haben wir uns verstanden?" Peter nickte unmerklich und zog
gequaelt ein freundlicheres Gesicht, wie er meinte. Vater war zufrieden. Er
durfte endlich gehen, allerdings .... nur MIT Lederhose. Das ganze
Wochenende musste er das Ding tragen. Er traute sich nicht auf die
Strasse und als Vati am Sonntag Nachmittag wegfuhr, gestattete Mutter
ihm, normale Sachen anzuziehen. Dankbar entledigte er sich der Sachen
und Mutter raeumte sie weit, weit weg. Das „freundlichere" Bild
hat Onkel Karl bekommen. Es sah ganz passabel aus. Dieses Bild aus
dem Text fiel mir vor ein paar Wochen wieder in die Haende. Heute
schmunzele ich ueber den luetten Peter. Geradezu niedlich sah er aus,
finde ich. Meinem Bruder steht die Lederne nicht ganz so gut. Ich
kann heute meinen Vater und Onkel Karl verstehen, dass sie den Jungen
mal „"zuenftig" sehen wollten. Schliesslich mussten sie von klein
auf eine Lederhose tragen. Allerdings bleibt mir bis heute ein kleiner
bitterer Nachgeschmack beim Betrachten des Bildes. Denn DEN Hinternvoll
habe ich ihm lange nicht verziehen. Erst vor ein paar Jahren, als
mein Junge etwas aehnliches fabriziert hatte, konnte ich ihn ploetzlich
verstehen.
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